Wenn im November die Tage auf Sylt merklich kürzer werden und die Nordseeinsel in die dunkle Jahreszeit eintaucht, erwacht ein Brauchtum zum Leben, dessen Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichen. Der Laternenumzug der SYLT KITA am Dienstagabend war mehr als nur ein Spaziergang; er war Teil einer jahrhundertealten Tradition, das Licht in die Dunkelheit zu tragen.
Ursprünglich geht der Brauch auf den Martinstag zurück, den Gedenktag des Heiligen Martin von Tours, der im 4. Jahrhundert lebte und für seine Nächstenliebe bekannt war – symbolisiert durch die Teilung seines Mantels. Doch die Symbolik des Lichts ist noch älter und gerade im nordfriesischen Raum tief verwurzelt. Bevor das Christentum die Legende des Heiligen Martin etablierte, entzündeten die Menschen Lichter, um die bösen Geister des Winters zu vertreiben und die Hoffnung auf den nächsten Frühling zu bewahren. Auf Sylt, wo die Winterstürme besonders rau sein können, hat das „Lichttragen“ eine ganz eigene, fast trutzige Bedeutung gegen die Naturgewalten.

Dass der Zug in diesem Jahr vom Rathaus – dem weltlichen Zentrum der Inselhauptstadt – durch die moderne „Neue Mitte“ zur historischen Nicolaischule führte, spannt einen interessanten Bogen zwischen Tradition und Moderne. Die Nicolaischule selbst ist ein Ort der Geschichte in Westerland. Wenn die Kinder heute mit ihren Laternen dorthin ziehen, treten sie in die Fußstapfen unzähliger Generationen von Syltern, die in der dunklen Jahreszeit zusammenkamen, um Wärme und Gemeinschaft zu suchen. Das gemeinsame Essen von Würstchen und Trinken von Punsch ist dabei das moderne Äquivalent zum historischen Martinsmahl, das früher oft das Ende des bäuerlichen Wirtschaftsjahres markierte. So leuchteten an diesem Dienstag nicht nur bunte Laternen, sondern auch ein Stück lebendige Kulturgeschichte.